Anlässlich des 250. Release bringt Audiolith den vierten Sampler aus der Reihe „Doin' Our Thing“ raus. Das habt ihr auf dem Reeperbahnfestival schon einmal mit einer Menge Schnaps und Freunden im „Jolly Roger“ in Hamburg gefeiert. Wie fühlt sich das für dich, als Gründer des Labels, an?
Das Produkt an sich, also den Sampler „Doin Our Thing“ Nummer 4, haben wir ja in diesem Moment noch nicht mal in der Hand. Ich weiß, und das ist eigentlich immer der beste Moment, dass wenn ich den Sampler dann in der Hand halten kann, es für mich wie eine Geburt ist. Man plant ganz lange und setzt mit Bands verschiedene Sachen um. Songs werden fertiggestellt und aufgenommen. Das Layout wird gestaltet und es kommt das Mastering. Intern muss dann noch viel besprochen werden, bis der Sampler dann weiter an den Vertrieb geht. Erst dann ist man an dem Punkt, wo man das fertige Endprodukt endlich in den Händen hält. Ich muss wirklich sagen, dass ist immer noch, auch nach den vielen Jahren, ein extrem starkes Gefühl. Erst nach den ganzen Schritten geht das Ding dann raus. Das finde ich besonders spannend. Man guckt, wie finden die Leute, die Fans, eigentlich das Produkt. Gefällt ihnen das Layout und der Zusammenschnitt? Wird die Platte digital oder physisch gekauft, auf CD oder Vinyl? Das Feedback ist ein spannender Prozess. Es ist schon Wahnsinn, wenn ich mir jetzt klarmache, das Audiolith schon 250 Releases hatte. Das sind Quasi 250 Babys von Audiolith.
Wenn du jetzt von Feedback sprichst, meinst du die Rückmeldungen aus sozialen Netzwerken?
Vieles bekommen wir schon online rückgemeldet, aber es gibt auch Leute, die direkt an uns herantreten oder an die Künstler selber. Der Vertrieb ist auch entscheidend, der in dem Fall gesagt hat, das es eine geile Compilation geworden ist. Natürlich zählen auch der eigene Freundeskreis und die Leute da draußen. Manchmal sprechen einen auch einfach Leute auf der Straße an. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass die Leute, die am wenigsten schreien, auch diejenigen sind, die es am meisten abfeiern. Ich mache aber auch keine Wertung auf, welches Feedback mehr zählt. Ich freue mich jetzt einfach, dass das Ding draußen ist. Vor allem, wenn es seine Hörer und Hörer*innen findet. Manchmal fragen wir aber auch auf Facebook gezielt nach Meinungen. Teilweise kommen auch unglaubliche Storys ans Licht, wo Stücke zum Beispiel Leute in einer Phase ihres Lebens sehr begleitet haben.
Der neue Samper ist ja auf gleich drei CDs aufgeteilt. Neue Songs, alte Songs, Remixe. Kannst du kurz etwas zu der Aufteilung sagen.
Die letzten CDs waren immer auf zweifach CD oder auf zweifach Vinyl gepresst. Dieses Mal dachten wir uns einfach: Ey, lass uns das auf drei CDs aufteilen. Das ist geil. Auch weil nächstes Jahr neue Alben rauskommen. Wir haben deshalb eine CD mit unveröffentlichte Songs drauf gemacht. Die zweite CD ist belegt mit vielen Sachen, die bisher nur digital rausgekommen sind oder als B-Seite. Vieles wurde geremixt, aber das waren alles Sachen, die nie so im Vordergrund gestellt waren. Die dritte CD ist ein durchgängiger „Stiff Little Spinners“ Mix aus dem ganzen Audiolith Deephouse Kram. Am Ende hätte unser Material auch für eine vierte CD gereicht. Aber irgendwo muss man auch einen Punkt machen.
Auf der ersten CD ist der letzte Song „Technopunk, das sind wir“ der Ravepunker „Saalschutz“ von 2001. Damals hattest du noch nicht mit der Band am Hut und Audiolith gab es noch nicht. Wie kommt der Song auf die Platte?
Wir haben eigentlich alle Bands wegen des Samplers angeschrieben. Die kamen dann irgendwie um die Ecke und haben mir ihren ersten Song gezeigt, der noch nie irgendwo veröffentlicht wurde. Ich wollte den sofort und wir dachten uns: Das ist ja mal so geil. Was für ein Meilenstein eigentlich für eine Band. „Saalschutz“ ist jetzt mittlerweile auch 15 Jahre alt. Auch heute sind wir mit den Künstlern eng verbunden. Aber auch jede andere Band erzählt auf dem Samper eigentlich ihre eigene Geschichte. Die Songs sind Teil der eigenen Biografie.
Auf der zweiten CD remixen Audiolith-Acts und Freunde verschiedene Stücke aus dem eigenen Hause des Labels. Wie kann man sich das vorstellen?
Also die meisten Sachen sind schon veröffentlicht worden, aber nur digital: Zum Beispiel die Version „Komplett im Arsch“ von „Banda Comunale“ die den Song von „Feine Sahne Fischfilet“ gecovert haben. Das war auch alles sehr knapp und wir waren echt dankbar, dass die das noch so schnell aufgenommen haben. Es sind alles solche Momentaufnahme der Künstler, Freunde oder Interpreten die sie zu dem Zeitpunkt abgeliefert haben. Einige B-Seite werden bestimmt auch nur von Leuten gehört, die super Fan von einer Band sind. Aber wir haben versucht, Songs, die bislang nur stiefmütterlich behandelt worden waren, nochmal einen anderen Freiraum zu geben.
„Doin' our thing“ – Ist das auch die Philosophie von Audiolith?
Ja, ich glaube, das ist schon ein bisschen so. Wir haben ja ein paar Slogans wie „Grow old stay cool" oder „Blow your mind with good music“. Das sind so Parolen, die zu unserem Deutschpunk Image passen. Aber irgendwie bedeuten die auch ein bisschen mehr. Sicher gehört das auch zum Lebensinhalt oder der Philosophie des Labels. Wir machen halt immer noch, worauf wir Bock haben und sind nicht fremdgesteuert. Das klingt sehr abgeschlossen, aber das ist ja nicht nur auf uns als Label bezogen. Sondern wir meinen damit auch die Symbiose mit Künstlern, Fans und allem was dazugehört. Letztendlich wollen wir schon dazu bewegen, dass Leute ihr eigenes Ding machen.
Wenn man das Team von Audiolith auf Veranstaltungen wie „Welcome to Scumburg“ oder Releaseshows trifft, bekommt man das Gefühl, ihr seid wie eine verrückte, trinkfreudige Familie. Wie schafft ihr es, so ehrlich und unangepasst zu bleiben, aber trotzdem über all die Jahre so produktiv zu sein, so viele starke Bands zu haben? Es gibt ja nicht viele Labels, die das so durchziehen. Wie Linus Volkmann schon sagte: „Überdauern tun halt nur die biederen, die öden, die kompromissbereiten.“
Danke! Ich will uns gar nicht zu hoch stilisieren. Im ersten Sinn hat das mit den Menschen bei und um Audiolith zu tun. Es geht bei uns ja nicht um irgendwelche Abschlüsse oder Noten. Es zählt wirklich das Stichwort Mensch. Das klingt zwar pathetisch, aber es hängt wirklich an den Menschen, mit denen man im Alltag zu tun hat. Klar bedeutet das hier auch eine Menge Arbeit. Und bei der Arbeit muss man auch kreativ bleiben. Man kann sich nicht immer neu erfinden sondern muss schon Zeit freischaufeln, um irgendwas hinzukriegen. Wir machen aber auch das Maul auf, auch wenn das bedeutet, dass man selber aufs Maul bekommt. Bei uns ist das ein bisschen mehr als nur eine Platte. Es bedeutet auch Einstellung und Inhalt. Natürlich sind wir dadurch als Label angreifbar, aber das wird uns nicht davon abhalten, das zu machen worauf wir Bock haben.
Der Musikjournalist Linus Volkmann erzählt in seinem Infotext zum Sampler, dass du ihm damals leid tätest und er sich nicht vorstellen konnte, dass ihr über die Jahre als Label überlebt. Hättest du damals geglaubt, dass sich Audiolith als Label halten kann, und auch so extrem weiterentwickelt, dass so viele neue Künstler dazukommen?
Wer mir jetzt leid tut ist Linus Volkmann! [lacht] Naja, er hat auch sein Ding gemacht, muss man wirklich sagen. Es gibt eine Aufnahme: Damals wurde ich von NDR Kultur begleitet. In meinem Büro wurde ich gefilmt, wie ich bei der Intro anrufe und nach Linus Volkmann frage. Er hatte damals bereits das Interview mit mir geführt, dass er auch im Infotext aufgreift. Natürlich war er nicht direkt für mich erreichbar, wie das so ist, wenn man versucht, sein eigenes Repertoire an die Medien zu bringen. Das ist auch die gewisse Naivität, die ich damals hatte und auch heute noch habe. Es war mir wichtig zu gucken und etwas zu machen, dass den Leuten gefällt. Wenn es den Leuten gefällt, dann ist es geil aber wenn nicht, dann mache ich irgendwas anderes. Das war damals auch meine Einstellung. Ich will niemanden irgendwas aufdrücken müssen. Natürlich bin sehr dankbar dafür, dass das alles so ist wie es ist. Und genauso wie ich früher nicht gedacht hätte, wie es gekommen ist, so hat es eben Linus Volkmann auch nicht gedacht.
Aber du wolltest schon damals von deinem Label leben können?
Ich glaube schon, dass das eine Idee war. Ich wollte es auf jeden Fall versuchen. Sicherlich hätte ich abgebrochen, wenn man gemerkt hätte, dass es nach fünf Jahren nicht funktioniert. Daraus hätte ich schon gelernt und etwas Neues angefangen. Ich glaube, dass könnte ich auch heute noch. Ich bin niemand, der rumjammert, wenn die eigne Kunst nicht gekauft wird. Trotzdem ist Audiolith nicht nur meine Arbeit, sondern das hat auch viel mit dem Privatem zu tun. Also mit meiner kompletten Sozialisation. Da wo ich herkomme. Ich bin 39 Jahre alt. Ein Drittel meines Lebens beschäftige ich mich jetzt schon mit Audiolith. Natürlich ist es Arbeit. Aber ich bin schon dankbar für die Freiheiten, die das hier bedeutet. Ich kann morgens um halb zehn ein Bier trinken und hier ist niemand, der mich rausschmeißt.
Auf welcher schönen versifften Toilette habt ihr das Foto vom Albumcover geschossen? Und was sagt es über den Sampler oder sogar euch aus?
Das Foto ist auf der Damentoilette des Hafenklangs entstanden. Jonas hat das Bild geschossen. Es ist quasi einfach so entstanden. Vor allem Artur Schock hatte die Idee, das als Albumcover zu nehmen. Ich finde die Farbgebung schön schäbig. Und wie sagt man? Im dreckigsten Loch zu Hause und im schönsten Klo daneben geschissen?! Das Bild sagt insofern etwas über uns aus, dass ich jetzt weiß, wo ich meinen komischen Husten her habe. Aber es spiegelt auch die Vielfalt der Zusammenkünfte wieder, die man über die Jahre bei Audiolith hatte. Auch intime Situationen, die trotzdem total öffentlich sind.
Mit der „Dorfdisko Geiselfahrt“ ist Audiolith vor 6 Jahren richtig durch die Medien gegangen. Anfang des Jahres haben Artur Schock und Hannes Naumann die ganze Story nochmal bei Noisey Revue passieren lassen. Kann man sich in der Zukunft von Audiolith auch wieder auf spannende Pressecoups freuen? Stichwort Geschenkkorb beim Verfassungsschutz. Wer denkt sich so etwas aus?
Das sind Ideen von Künstlern, aber auch von uns als Label. Für dumme Ideen sind wir generell immer gerne zu haben. Lieber tausend völlig verrückte Hirngespinste im Kopf, als gar keine. Aber es gibt auch viele Ideen, die sind so verrückt, dass sie sich nicht umsetzen lassen. Einige Sachen sind aber auch so gut, dass man natürlich alles dafür gibt, um sie möglich zu machen. Aber das ist etwas Unberechenbares bei Audiolith, das wir versuchen werden immer aufrecht zu erhalten. Wenn ich jetzt in die Zukunft gucken könnte und zehn Sachen im Kopf habe, ich würde sie Dir nicht verraten. Aber man kann eigentlich immer sicher sein, dass irgendwas kommt, was die Leute völlig vor den Kopf schlägt. Wo man sich denkt, wie bescheuert ist das. Das kann auch nur Audiolith machen. Aber auch wenn etwas von außen an uns herangetragen wird, sind wir dafür immer offen. Das muss gar nicht der große Mediencoup sein.
Zum Beispiel so etwas wie ein Schulkonzert der Band FUCK ART, LET’S DANCE! an der Max-Brauer-Schule in Hamburg, Bahrenfeld?
Ja, genau sowas. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die viel mehr zählen als der große Coup. Für die Band selbst war es zum Beispiel eines der größten Konzerte. Die Kids sind ja ganz anders abgegangen als die Leute im Club. Die sind aber auch durchgedreht. Und es war teilweise eines der ersten Konzerte für sie. FUCK ART, LET’S DANCE! hat ja selber als Schülerband angefangen und dann dort zu spielen war auf jeden Fall ein einmaliges Erlebnis.
Merkst du dann auch, was für einen Einfluss dein Label insbesondere auf die Jugend hat und hatte?
Ich glaube, in der Retroperspektive wird einem das jetzt erst richtig bewusst. Zumindest in welchem Umfang. Wir haben ja damals keine Analyse betrieben, wo irgendwelche Trends liegen. Aber uns fällt es jetzt schon auf, wenn wir mit Leuten sprechen. Zum Beispiel wenn es um Saalschutz oder Egotronic geht, die jetzt auch 15 Jahre alt werden. Oder auch bei Frittenbude, die 10 Jahre alt werden. Man guckt schon zurück, was eigentlich gewesen ist. Nicht nach dem Motto, früher war alles besser. Sondern, dass man sich bewusst macht, was zu der Zeit passiert ist. Viele Leute schreiben jetzt erst darüber, wie sehr eine Platte eigentlich ihr Leben bewegt hat. Und sowas finde ich schon krass. Es ist interessant zu sehen, was für eine Bedeutung die Musik für die Leute hatte. Ich finde, das ist auch eine Anerkennung der Arbeit, die wir über die Jahre gemacht haben. Für mich war zum Beispiel Ton Steine Scherben die erste Band, die mich richtig beeinflusst hat als Teenager. Das ist vielleicht vergleichbar mit Egotronic bei einigen Leuten. Ich finde es wichtig, dass man mit der Mucke auch mitwachsen kann und sich nicht denkt: Das habe ich als Teenager gehört und das ist für mich totale Scheiße heute.
Wie schwer fällt es dir dann, wenn sich Bands wie Bratze oder jetzt auch kürzlich Trouble Orchestra auflösen?
Jedem und jeder ist es zu jedem Zeitpunkt freigestellt, das zu machen, was man will und dort hinzugehen, wo man will. Wenn eine Band aufhört, ist das natürlich schade. Wenn sich bei uns jemand aber dazu entschließt, gibt es aber immer gute Gründe. Man spricht lange darüber und ich glaube, dass wir als Label von verschiedenen Verhältnissen her, nicht auf Grund von Verträgen entscheiden sollten. Man kann zwar gucken, wo ein Problem ist. Aber im Moment der Entscheidung steht dann die Privatperson im Vordergrund. Ich sage dann, okay cool, bis hierhin sind wir gekommen und erhobenen Hauptes geht man wieder. Mir ist eigentlich immer sehr wichtig, dass man untereinander noch sprechen kann. Für einige Künstler ist es auch völlig klar, dass Audiolith eben nur ein Lebensabschnitt ist. Dann kommt der Punkt Familie ins Spiel und man denkt, man hat schon etwas erreicht und möchte vielleicht auch mal was anderes machen. Das finde ich total legitim. Es wäre auch völlig schwachsinnig, die Kuh tot durch den Wald zu reiten. An der Stelle kann man Kobito rezitieren: „weil jedes Ende auch ein Anfang ist“. Deswegen bin ich voll dafür, einen Schlussstrich zu ziehen, alles kaputt zu machen und etwas Neues anzufangen.
Solche Ereignisse wie zehnjähriges Bestehen oder 250 Releases sind ja auch immer Momente, wo man sich anguckt, was bisher war und was noch kommt. Wie soll es bei Audiolith weiterlaufen? Was habt ihr in Planung?
Ich glaube von dem Zeitpunkt an, wo ich angefangen habe, bis zu dem Moment, wo Artur und Sven dazu gekommen sind.. Von den paar Bands die am Anfang da waren, bis zu dem Moment wo wir auch eine Marke erschaffen haben, ohne dass uns das bewusst war… seitdem haben wir uns schon sehr weiterentwickelt. Das Stigma, dass Audiolith einfach nur Electropunk macht, haben wir in den letzten fünf Jahren, völlig ad absurdum geführt. Wir haben aber auch viele verschiedene Sachen probiert. Mittlerweile ist die kleine „Ein Mann Firma“ zu einer GmbH mit zehn Mitarbeitern geworden. Ich glaube wir sind auch an einem Punkt, wo wir natürlich in die Zukunft gucken müssen. Einiges haben wir gelernt, einiges verwerfen wir auch wieder. Auf jeden Fall wollen wir auch neue Sachen ausprobieren. Wichtig ist mir, dass wir und die Künstler uns weiterhin alle wohlfühlen.