Captain Gips – Die Young As Late As Possible
Captain Gips ist ein Viertel der Hamburger Hip Hop-Crew Neonschwarz und mit dieser seit Jahren erfolgreich unterwegs. Davor und daneben hat er aber auch immer wieder Solo-Material produziert, dass stets deutlich konsequenterer Rap war als der stärker mit Pop-Elementen angereicherte Output seiner Band. Nun ist es wieder so weit: 5 Jahre nach seinem letzten Solo-Album „Klar zum Kentern“ erscheint „Die Young as Late as Possible“, eine EP mit 6 Tracks, über das langjährige Hamburger Partner-Label Audiolith.
Die Young as Late as Possible - Kaufen / Streamen
Captain Gips präsentiert ein kleines, aber intensives Release, dass nicht den Eindruck eines gelangweilten Zeitvertreibs oder einer Fingerübung neben der Hauptbeschäftigung Neonschwarz vermittelt. Tatsächlich wirkt „Die Young as Late as Possible“ wie das Produkt von drängenden Gedanken, die in Songs gebündelt raus müssen. Unterlegt wird das ganze durch Produktionen von LeFou, der für das saubere und treibende Soundbild verantwortlich zeichnet und mit dem der Rapper schon sein erstes Album herausbrachte. Gips hatte immer zentrale Themen und Motive, die sich durch seine Songs ziehen: eine gewisse Glorifizierung von Hängertum und ein Hoch auf die Freizeit als Antihaltung gegen Leistungsfetisch und Verwertungslogik sowie eine generell klar antifaschistische Positionierung. Wie es sich mit dieser Haltung in Zeiten endloser Krisen, Klimakatastrophe, neoliberalem Wahn und faschistischer Erstarkung lebt, sind Themen dieser EP.
„Ich hab doch selber keinen Plan/ mach das nur für meine Fam und meine Gang/ und jetzt sagt ihr alle müssen hier den Gürtel enger schnallen/ doch bei den meisten ist der Gürtel schon zu eng“ (Keine Zeit)
Die textliche Qualität ist dabei vor allem darin zu finden, die eigene Lebensrealität und die Beobachtung seiner Umgebung zu reflektieren, um dann immer wieder gesamtgesellschaftliche Ursachenforschung zu betreiben. Somit stehen am Ende immer der Kapitalismus und seine Auswirkungen im Vorder- bzw Hintergrund. Dass es dabei NICHT wie bei vielen politischen Rapsongs daran krankt, einfach nur aufzuzählen und offensichtliches auszusprechen, liegt an den persönlichen Introspektiven, die Captain Gips gewährt. Depressive Episoden, Therapie und nicht zuletzt der Umgang mit dem Älterwerden sind die Leitfäden, die diese Veröffentlichung berührend machen.
„Ihr wollt Gewinn maximieren/ ich will pimpern und schmieren“ (Low Life)
Der letztgenannte Punkt, das Älterwerden, spiegelt sich bereits im EP-Titel wider: so spät wie möglich jung zu sterben ist als Weigerung zu verstehen, aufzugeben. Und zwar einerseits das Leben an sich, andererseits die „jugendlichen“ Überzeugungen wie der Glauben an etwas Besseres. “Ihr seid alle angepasst doch Captain Gips ist noch der alte“ (Muss ja). Immer noch der alte sein, ohne jünger zu werden, schafft auch nicht jede_r. Gips weigert sich, „erwachsen“ zu werden. „Erwachsen“ im Sinne von angepasst, abgestumpft und entfremdet von Werten, die einem mal wichtig waren. Denn das scheint „Erwachsensein“ oft zu bedeuten.
„Keiner rappt mehr Live und das ist nicht mal das schlimmste/ guck wie ich vom Fenster aus die Kinder beschimpfe“ (Sorry)
Gleichzeitig kann er aber nicht verleugnen, wie entfremdet er, der Mitte der 90er mit Rap begann, doch mittlerweile von Jugendphänomenen und aktuellen Trends ist. „Ich weiß nicht wovon ihr redet/ aber ich sag vorsichtshalber schonmal sorry“ (Sorry) Auch wenn er bewusst jung bleibt oder sich darum bemüht, über der Biologie und vor allem dem gesellschaftlichen Wandel steht auch ein Kapitän nicht. Das dialektische Abhandeln dieser Umstände findet aber nie ohne den charakteristischen, nordisch-trockenen Humor statt
„Nihilismus zwischen Tränen und Schweiß/ die Welt ist immer noch Kacke doch das Leben ist nice“ (Low Life)
Gips hadert, lässt Resignation durchscheinen, ohne aber dabei die Lust am Leben und den Blick für das Schöne zu verlieren. Eine Mischung an Emotionen, die wohl alle Menschen, die bewusst und mit dem Wunsch nach besseren und gerechteren Zuständen durchs Leben gehen, nachempfinden können. „Die Young As Late As Possible“ ist eine EP, die die Schwierigkeiten der Existenz im Spätkapitalismus einfängt, negative bis depressive Gefühlslagen durchscheinen lässt und benennt, aber auch immer wieder betont, was es doch an lebenswerten Gegenentwürfen gibt. Der Captain verlässt das sinkende Schiff nicht. Vielmehr könnte man sagen: Lasst den Captain mal machen, das Schiff sinkt sowieso.