Liebe Freunde, wir können es selbst kaum glauben, doch unsere schiefen Augen haben richtig gezählt: Diesen Freitag erscheint die 250. Veröffentlichung auf unserem (nicht mehr so) kleinen Label Audiolith Records. Ein optimaler Augenblick für eine Bestandsaufnahme, bevor man den Überblick verliert. #AL250 ist dementsprechend ein neuer Sampler von uns, 3 CDs, die auf den Namen "Doin' Our Thing #4" hören. Exklusive neue Songs von Neonschwarz, Frittenbude, Egotronic uvm., ein bunter Blumenstrauß an Remixes und ein Mix von Joney warten darauf, von euch in Augenschein genommen zu werden. Ebenso einen Blick wert: Unsere neu gestaltete Homepage und der neue Shop.
VVK Doin' Our Thing #4 @ iTunes
Infotext:
(von Linus Volkmann)
Eine Labelcompilation versteht man gern mal als Aufforderung zum Skippen. Wer dieses ADHS-Prinzip allerdings bei der aktuellen Audiolith-Werkschau anwendet, verdient bloß noch Mitleid. Eine Liebeserklärung an die schönste Plattenfirma der Welt.
Mitte der Nuller Jahre war ich der für die Plattenkritiken verantwortliche Redakteur des Magazins Intro. Seit einiger Zeit hatten sich auf meinem Schreibtisch Promo-CDs gehäuft, die sich in Papphüllen befanden und alle durch den Aufkleber einer Hand mit zwei Sternen gekennzeichnet waren. Drei Punkte zwischen Daumen und Zeigefinger bedeutet irgendwie Knast und/oder Heroin, diese Sterne hier konnte ich nicht zuordnen, aber die Musik blieb hängen. Minimalistische, elektronische Alben irgendwo zwischen Selbstermächtigungs-Techno und Atari-Punk - und man bekam mit, wie die Szene der hedonistischen Antideutschen in dem Act Egotronic einen Guru gefunden hatte. Kurzum, es tropfte einfach aus jeder Pore dieser recht schmucklosen CDs: Hier ist was los!
Schon bald hielt ich es nicht mehr aus, ich wollte einen Beitrag im Heft über dieses Audiolith machen. Doch das war gar nicht so leicht, denn mit kleinen Labels wird sich zwar gern in Musikmagazinen bei den Kurzkritiken geschmückt, aber der wirkliche Platz gehört letztlich den Big Playern. Ich behalf mir mit einer List und verkaufte die Story als eine Art Reportage – und zwar über ein neues Sound-Movement in elektronischer Musik. Da wäre ein 90er-Revival am Kochen und man müsste unbedingt die Protagonisten (Cobretti Records und Audiolith) besuchen, bevor es die Spex oder ähnlich konkurrierende Brillen täten.
Triumph! Mein schrottreifer Pitch für einen Mehrseiter im Heft musste nicht rechts ranfahren zu einer Kontrolle (einer solchen hätte er auch niemals Stand gehalten). Viel mehr durfte ich weiterfahren von Köln nach Hamburg. Zusammen mit dem reiselustigen Chefredakteur Thomas Venker besuchte ich Lars Lewerenz, die damalige One-Man-Show hinter dem Label. Wir trafen ihn bei sich Zuhause. Zwei Sachen sind mir auch noch fast zehn Jahre später sehr präsent hinsichtlich dieser ersten Begegnung:
Seine Wohnung wirkte wie die eines Serienkillers. Alles voller (hoffentlich) Tiergerippe. Auch die Schirmmütze und der unförmige Tarnfarbenparka sprachen eine deutliche Sprache. Eine, die sagte: „Es soll sich mit der Lotion einreiben!“ (Stichwort „Schweigen der Lämmer“)
Lars beschrieb seinen Laden nicht als kurzfristige Erhebung des Zeitgeists, nein, er wollte mit und von dem Quatsch leben und Audiolith nachhaltig auf die Karte bringen. Sofort tat er mir leid. Das würde doch nie funktionieren, dachte ich damals. Mal paar geile Platten machen und paar starke Bands haben, okay, aber mehr als zwei, drei Sommer sind für richtig coole Labels einfach nicht drin. Überdauern tun halt nur die biederen, die öden, die kompromissbereiten.
Mit letzterer Einschätzung sollte ich legendär falsch liegen, bei der ersten möchte ich mich dagegen auch heute noch nicht festlegen. Audiolith jedenfalls wurde zum wichtigsten deutschen Label – und ich schreibe bewusst nicht Indie-Label, denn Audiolith ist von der Innovationskraft definitiv auch wichtiger als Universal, Sony und Warner. Sorry, friends, ich gebe hier bloß Fakten wieder. Was Lars mit seinen Leuten, die ihn im Laufe der Zeit unterstützten, aufgezogen hat, stellt ein Phänomen dar: Trophäen-Zertrümmerung, Geiselfahrt im tiefsten Osten, Verfassungsschutzgeschenkkorb, Gänsehaltung etc.
Aber das wirklich Beeindruckende an der Geschichte ist, dass sie nicht ihren Glanz aus der Vergangenheit ziehen muss. Wenn ich an Audiolith denke, dann ist halt immer noch heute. Weil es ihnen weiterhin gelingt, mitzustricken an einem antifaschistischen entfesselten Dancefloor. Das Tiergerippe-Label hat sich mit den Jahren verändert, doch die Ideologie bei den alten und neuen Protagonisten ist stabil geblieben. Durch die beneidenswerte Kontinuität bei den Acts wirkt das Programm heute auch nicht wie ausgewechselt im Vergleich zu früher, sondern einfach erweitert. Frittenbude, Egotronic, Bondage Fairies sind geblieben, Neonschwarz, Waving The Guns, Finna, Kobito und vielen anderen dazugekommen.
Um sich ein Bild des aktuellen Panoramas zu machen, bedarf es dabei nur eines einzigen Albums: „Doin‘ our thing #4“. So kann es klingen, wenn man mehr ist als nur ein egal zusammengewürfelter Haufen Beattüftler-Pfosten, so klingt es, wenn es um etwas geht. Von allen Seiten nähert man sich dem Nukleus Audiolith: Sprechgesang, kein Gesang, Gitarre, Bass, Patterns, Flächen, Pointen, Breaks, Laser. Am Ende steht demonstrativ das Stück „Technopunk, das sind wir…“, ein Pling-Plong-Song von Saalschutz aus dem Jahre 2001.
Aber Ende ist ja einfach nichts für dieses Label, daher geht es dann nach der ersten CD einfach noch weiter. Audiolith-Acts und Freunde remixen Stücke aus der eigenen Dimension. Noch einmal 15 weitere Einträge ins hauseigene Narrativ, diesmal mit Schwerpunkt Tanzen. In CD3 drehen die Stiff Little Spinners dann alles noch mal in einen Mix, eine Stunde Dreizehn, der Sleepless-Floor dieses Projekts.
Ich habe über die Jahre immer mal wieder mit Audiolith kleinere Battles ausgefochten. Das möchte ich vielleicht als den größten Liebesbeweis verstanden wissen. Denn produktiv streiten kann man sich nur mit Leuten, bei denen Haltung besteht, denen es um etwas, ach, um alles geht. Danke Audiolith für Unzähliges. Doin‘ your thing? Gern. Aber lasst uns bloß alle weiter machen.
Audiolith Team 2016 (Foto: Till Gläser)
vlnr: Artur, Dominique, Niko, Sjard, Sven, Christian, Chrissie, Molly, Lars
Tracklist:
CD 1:
01. Waving The Guns - Erfolg
02. Finna - Cool ist mir zu kalt
03. Frittenbude - Zukunft aus Champagner
04. DiscoCtrl - Era
05. Ira Atari - My Summer
06. Captain Capa - O O O
07. Kobito - Zeitlupe
08. Tubbe - Hinten im Garten
09. Bondage Fairies - San Francisco
10. Fuck Art, Let’s Dance! - Homesick
11. Egotronic - Hallo Provinz
12. Feine Sahne Fischfilet - Solange es brennt
13. Trouble Orchestra - Bonjour Tristesse
14. Der Tante Renate & Steinborn - Kasos
15. Brazed - Rush
16. Florida Klaus - Schaschlik & Schnaps
17. Neonschwarz - Fiefbergen
18. Saalschutz - Technopunk, das sind wir (2001)
CD 2:
01. Banda Comunale - Noch nicht komplett im Arsch
02. Tubbe - Punkopa & Nazifreie Zone (feat. Captain Gips & Johnny Mauser)
03. Saalschutz - Und alle so yeah (Der Tante Renate Remix)
04. Captain Gips - Nach Bahrenfeld im Suff
05. DiscoCtrl - Frida Kahlo (Yunis Remix)
06. Der Tante Renate & Steinborn - Shift Dot Shift Nine
07. Frittenbude - Rave ist kein Hobby (Joney Remix)
08. Waving The Guns - Keine Lieder über Liebe (Ulliversal Remix)
09. Neonschwarz - Das Goldene Ticket (AMR Remix)
10. Trouble Orchestra - Schubserei
11. Tubbe - Punkopa (The Photsans Remix)
12. Trouble Orchestra - Einself (Simelli Remix)
13. Feine Sahne Fischfilet - Komplett im Arsch (The Micronauts Remix)
14. Fuck Art, Let’s Dance! - We’re Manicals! (Brazed Remix)
15. Kobito - About Blank (Kalipo Remix)
CD 3:
Stiff Little Spinners Continuous Mix #2 - Compiled and Mixed by Joney
Gesamtlänge: 03 h 14 Min.