Es war 2020, als Pöbel MC sein Top-Ten-Album Bildungsbürgerprolls veröffentlichte. Es ist 2024 und (musikalische) „Umstürze nach oben und nicht Kinderrap auf Drogen“ (Doktor P.) sind notwendiger denn je. Umso besser also, dass der Rapper vier Jahre, drei EPs und zahllose Live- Shows in fünf Ländern später, am 18.10.2024 via Audiolith Records mit Dr. Pöbel auf Albumlänge nachlegt — und zwar vom Feinsten, ganz im Zeichen der Ambivalenz zwischen unbezwingbarer Actionattitüde und Intellektualität, die PMC verkörpert wie kein anderer.
Das Album ist in allen Formaten (Vinyl, CD, Kasette, digital & als Bundle im Kombipaket mit Nass vom Bass I + II) im Audiolith Shop erhältlich!
AL430 Pöbel MC - Dr. Pöbel (Album, 18.10.2024)
Verkauf/Stream: https://shrt.audiolith.net/al430
Doch wer denkt, dass es sich bei „Dr. Pöbel“ lediglich um eine Neuauflage des erfolgreichen Vorgängeralbums handelt, der irrt. Augenzwinkernd wird die Onkel-Ära der Persona Pöbeleingeläutet: „Ich bin nicht jung und sexy, nein — ich bin alt und mächtig“ (Ruhe&Frieden). Es hängt nun „Gold an [s]einem Ossinacken“ (90sOST) und der Szenestatus ist zementiert: „Ich hab’ Zeckentoys beigebracht, wie man rappt — feiert, was ihr wollt, doch ihr schuldet mir Respekt.“ (Sonnenaugen) In spielerischen Flows rappt und singt der „progressivste Macker Deutschlands“ (Lebermord am Centercourt) über die machtvoll basslastigen bis rastlos treibenden Beats von Tombs Beats und DJ Flexscheibe.
Lines wie: „halbe Mille auf der Mensakarte — der Prof wird bockig, wenn ich vor der Uni Benzer parke“, portraitieren im gleichnamigen Track nicht nur ironisierend Pöbel MCs Lebensphase als Afterworkrapper, dessen Karriere abends und am Wochenende nach der Arbeit an der Promotion stattfindet. „Kunst ist Kacken, nicht Arschkriechen“ zeigt hier gleichzeitig den befreiten künstlerischen Ansatz; Programm und Zeugnis der Authentizität und unverkopften Herangehensweise des Rappers an die Musik. Die punkige Hook ballert mantra-artig über den energetisierenden Beat. Und wer Pöbel MC schon einmal live erlebt hat, versteht sofort, welche Szenen sich auf der anstehenden Tour dazu abspielen werden; an dieser Stelle sei nur der „Backflip in der Moshpit“ (Lebermord am Centercourt) als ein potenzielles Szenario genannt. Bei aller Freude an Ausgelassenheit, die auch im musikalischen Actionfilm Helikaktion oder der Zauber*innen-Hommage Grand Wizard Shit zelebriert wird, ist das einzige, was hier ballert, die Musik: Mit Kokainobelix liefert der selbsterklärte „Terroratze von Natur aus“ ein Statement für das „Loco-Gehen ohne Natzen“.
Menschen, die auf kapitalistische Verdrängungsprozesse mit plumpem Lokalpatriotismus reagieren (Kein Berliner), substanzlose Hype-Rapper*innen („Ihr habt keine Hörer*innen, ihr habt Playlistenplatzierungen“, Sud), „Fashion-Linke“ mit wie auswendig gelernten Meinungen (Sonnenaugen) und Faschos werden in meisterhafter Battlerapmanier durchweg zerlegt.
Aber: „Frontkick scheppert, doch der Kopf sensibel“ (Sonnenaugen). Pöbel MC nimmt uns in den letzten Tracks des Albums, die konzeptionell ineinander greifen, mit auf eine Reise voll autobiographischer Bezüge vor dem von Krisenhaftigkeit geprägten Zeitgeist. Auf die schmerzhaft-nostalgische Reminiszenz der Sozialisation im Nachwendeosten (90sOST) folgt mit
unüberhörbarem Verdruss in der Stimme ein politischer Rundumschlag, der in der Hook in dem Gefühl kulminiert, von anderen Menschen und der Welt abgestoßen zu werden (Sud). Die Reflexion entwickelt sich in Zeitlos zu apokalyptischer Rationalität: „Verschwende deine Jugend, mach ’n Abschluss oder zwei — doch du weißt, dass es uns von diesem Abgrund nicht befreit.“ Versöhnlichere Töne („Egal, wie dunkel es noch wird, steh’ ich grinsend vor dem Spiegel, weil mein Lachen zuletzt stirbt.“) und nicht zuletzt Flexscheibes Gitarrensolo erinnern auf Sonnenaugen schließlich daran, sich auf das unmittelbar Zwischenmenschliche, die gemeinsame Stärke und den Moment zurück zu besinnen.
Die 12 Tracks des Albums erzeugen nicht nur Power für Alltag und Stage, sondern ermächtigen auch durch emotionale Verletzlichkeit — verpackt in „Parts, für die ihr in den Duden guckt“ (Sonnenaugen). „Deutsche Hochkultur — es ist Pöbel und nicht Hegel“ (Ruhe & Frieden): Ganz in diesem Sinne ist Dr. Pöbel die personifizierte Synthese scheinbarer Gegensätze. Härte
und Verletzlichkeit, Humor und Strenge, Promotionsbüro und U-Bahnschacht, Frontkicks und Universalanalysen, Leichtigkeit und Gravitas.